Dr. Anne Käfer Vernissage am 27. März 2010
im Kunstraum S.A.L.Z. in Schwäbisch Hall
Liebe
Frau Walter, lieber Herr Walter, lieber Herr König, sehr
geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, heute Abend hier mit Ihnen die
Ausstellung von Herma Walter eröffnen zu dürfen. Unter dem Titel „Im konzentrierten Spiel Energie erleben“
zeigt uns Herma Walter Werke aus 15 Jahren Kunstschaffen.
„Im konzentrierten Spiel
Energie erleben“ –
Konzentriert sind die ausgestellten Werke, die
Collagen, Skulpturen und Bilder von Herma Walter. Sie zeigen nicht Vielerlei,
weder an Formen noch an Farben. Sie leben von der Konzentration auf das Eine,
auf den Ausdruck von Stimmung. Eine Gestimmtheit macht sich breit auf Papier
und Sperrholzplatten; wie ein Klang erfüllt sie den papierenen Raum.
Die Stimmung der Künstlerin ist das
Eine, auf das sich ihr Spiel mit Farben und Formen konzentriert, um das ihr
Spiel sich dreht und kreist. – Ein Spiel ist es, zu dem die Künstlerin sich
gestimmt und getrieben fühlt. Sie spielt mit dem, was sich ihr zeigt und was
ihr im Inneren entsteht. Und sie spielt, indem sie die inneren Bilder nach
außen bringt. Das Bild, das ihr im Inneren entstand, die Farbe, die ihrer Stimmung
entspricht, und die Form, die im Einklang mit ihr selber ist, die malt sie aus
sich heraus, um sie daraufhin im Raum zu betrachten. Ins Auge nimmt sie dann
das Gemalte, das Aus-ihr-heraus-Entstandene. Sie sieht nun außer ihr, was in
ihr war. Und das, was auf dem Papier oder den Sperrholzplatten erscheint, das
regt die Phantasie zum Spiel mit neuen Bildern an, die sich erneut im Inneren
bilden.
Das freie Spiel der Phantasie
scheint ein Dialog, ein Wechselspiel zu sein zwischen den Bildern im Inneren
der Künstlerin und den Farben und Formen, die auf Papier und Sperrholz bereits
ausgedrückt worden sind.
Mehr jedoch als ein Zwiegespräch ist das
Spiel der Künstlerin. Denn angeregt wird das Spiel ihrer Phantasie über einen,
wie sie selber sagt, „Kanal“ oder „roten Faden“, dessen eines Ende die
Künstlerin berührt. Das andere Ende aber reicht dorthin, wo die Kraft wirkt,
durch die die Künstlerin zu bestimmten, ihrer Stimmung gemäßen Farben und
Formen angeregt wird. Die Künstlerin empfängt den Antrieb zum Spiel mit
den inneren Bilder; ist sie angeregt und inspiriert, dann bilden sich
kunstvolle Vorstellungen und Bilder in ihr. Diese Bilder bilden sich im Umgang
mit der Wirklichkeit, sie bilden die Wirklichkeit jedoch nicht ab.
Gerade in ihrer Abhängigkeit von
schöpferischer Inspiration und kreativem Antrieb schafft die Künstlerin in
großer Freiheit. Das Spiel ihrer Phantasie ist nicht an die Wirklichkeit
gebunden. Sie ist vielmehr fähig, mit der Realität in ganz und gar freier und
individueller Weise umzugehen.
So sind unter der Hand der
Künstlerin Bilder entstanden, wie dasjenige, das einzeln an der schmalen Wand
im ersten Zimmer hängt und mit seinem blauen Hintergrund entgegenleuchtet. Hier
lässt sich wohl der Körper eines Embryos erkennen, der geborgen vom Leib seiner
Mutter dargestellt ist. Doch nicht darauf kommt es an, hier einen Embryo im
Mutterleib zu erkennen. Vielmehr stellt die mehr oder weniger gegenständliche
Darstellung Geborgenheit und Verlässlichkeit vor Augen.
Der Künstlerin Herma Walter geht es
gerade nicht um die naturgetreue Abbildung von Wirklichkeit, sie hat nicht die
Biologie im Blick, sondern vielmehr ein besonderes Gespür für das in und hinter
der Wirklichkeit Verborgene. Sie hat ein Gespür für das, wie und wovon die Wirklichkeit
lebt. Und das bringt sie hervor, das zeigt sie uns.
Indem sie uns an ihren Vorstellungen
und inneren Bildern Anteil gibt, fordert sie uns zum Mitspielen heraus.
Sie selbst wird im Prozess des
künstlerischen Schaffens von dem, was unmittelbar durch ihre Hände entsteht,
weitergetrieben im kreativen Spiel, bis hin zu dem nicht berechenbaren Moment
des Zu-Ende-Gekommenseins. – Wann ist das Kunstwerk vollendet? Die Antwort
fällt schwer. Wer kann sagen, ob nicht eine Ergänzung vielleicht das Werk erst
vervollkommnete? Und doch ist stets irgendwann der Moment gekommen, von dem an
das Werk ein Spiel aus sich heraus motiviert. Dann bedarf es nicht länger eine
Veränderung des Gemalten und Geformten, weil Stimmung und Ausdruck der
Künstlerin bereits zur Übereinstimmung gekommen sind.
Mit einem Namen, einem Titel kann
der Schöpfungsprozess beendet und die entstandene Ganzheit als bestimmte
Einheit gekennzeichnet werden. Dieser Titel aber – gibt er uns nicht vor, wie
das Spiel zu spielen ist, das das Werk in sich birgt und noch verbirgt? Nun,
Spielregeln nennt er wohl. Eine Anleitung kann er sein beim Spiel mit den Bildelementen,
den Farben und Formen, die aus der Künstlerin hervorgegangen sind. Keineswegs jedoch
soll er das Spiel der Betrachtenden beengen. Das Spiel der Rezeption möge frei
sein, wie das Spiel der Produktion. Die Phantasie der Betrachtenden möge
angeregt und frei eigene Vorstellungen bilden.
Ganz ohne Titel und
Gegenständlichkeit sind die vier kleinen Bilder, die im ersten Raum gegenüber
den beiden großen Collagen hängen. Nicht nur jedes einzelne Bild beschäftigt
die Phantasie und regt die Vorstellungskraft an. Auch in ihrem Zusammenklang
regen die vier Werke ein Umstellen der gehängten Ordnung und ein
Neuzusammensetzen und Ergänzen der gemalten Farben und Formen des einen Bildes
durch die Farben und Formen eines anderen an. Hinge ein anderes Bild neben diesem
oder gar unter jenem, ergäbe sich ein neues Gesamtbild; andere Farben ständen
in Spannung zueinander, die Neuformierung erschlösse eine andere Harmonie. Das
freie Spiel der Phantasie ist angeregt und losgelassen.
Nach Friedrich Schiller, in seinem
15. Brief „Über die Ästhetische Erziehung des Menschen“, ist in solchem Zustand
der Freiheit wahres Menschsein erreicht. – Ich zitiere: „Denn, um es endlich
auf einmal herauszusagen, der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des
Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Freiheit verspürt der Mensch im
Spiel, und eben Freiheit zeichnet wahres Menschsein aus.
Im Spiel ist der Mensch frei von
jeglicher Zweckgebundenheit. Es gilt nicht, einen Zweck zu erfüllen, sondern
ganz und gar zwecklos, ganz und gar ohne Zielbestimmung bildet die Phantasie
ihre Bilder. Die spielende Rezeption wie die spielende Produktion auch befreit
geradezu von der Last der Zweckerfüllung. Kein Zweck muss erreicht und kein
Nutzen erbracht werden, allein Freiheit wird gelebt.
Doch, anders als Schiller annimmt,
wäre es verheerend für das freie Spiel der Phantasie, wäre es von der
Wirklichkeit und vom Ernst des Lebens getrennt. Wäre das Spiel der Kunst nur
ein Bereich neben den ernsten Dingen des Lebens, um womöglich von ihnen
abzulenken und sie gar vergessen zu machen, dann wäre sie doch nur ein kleiner,
begrenzter Zufluchtsort auf Zeit.
Es ist jedoch wohl vielmehr so, dass
die Künstlerin ihre Werke mit Ernst gefertigt hat. Sie kennt den Ernst des
Lebens und keine anderen Vorstellungen und Stimmungen als die, die das Leben
mit sich bringt, wirken in ihr und beschäftigen sie bei ihrem kunstvollen
Spiel. Doch spielt sie eben mit ihnen, und das zeichnet ihre Kunst aus.
Die Betrachtenden treten ebenfalls nicht in einen von der Realität und vom
Ernst des Lebens getrennten Raum, wenn sich ihnen die Sphäre der Phantasie
eröffnet. Sie spielen frei von den Zwecken des Lebens mit dem Ernst des Lebens,
der als inspirierter Ausdruck der Künstlerin in ihre Vorstellungen, in ihre Phantasie
und Geistigkeit dringt.
Das geistige, phantasievolle Spiel
mit dem Ernst des Lebens, der freie Umgang mit der Wirklichkeit, der nicht
zweckgebundene Blick für das Leben – was kann dem Menschen Schöneres
widerfahren? Und durch solche Schönheit der Kunst darf er die Güte erleben, von
der auch das Ernste und Ernsthafteste getragen ist.
Dadurch,
dass die Künstlerin uns mit ihren phantasievollen Werken Schönheit zeigt, wird
sie uns zur Mittlerin wirkmächtiger Güte. Sie vermittelt auf sinnliche und geistige
Weise die Wirkmacht, die gute und gnädige Energie, die in und hinter der
Wirklichkeit wirkt. Von dieser Wirkmacht ist sie selbst angetrieben, inspiriert,
ja begeistert. In inspirierter Stimmung wird sie aufmerksam auf das, was sich
ihr zeigt und was ihr in der Wirklichkeit begegnet, um es in freier,
kunstvoller Weise zu gestalten.
Ein besonderes Beispiel für die
Darstellung einer solchen, besonders begeisterten Begegnung stellt die Collage
mit dem Anagramm dar, die im ersten Raum zu finden ist.
In diese Collage fügt sich das
Anagramm ein, das auf der Radierung „Faust“ von Rembrandt einen berühmten Platz
gefunden hat; die Farbe und auch das Muster des Anagramms harmonieren mit den
andere Bildelementen. Das Anagramm, das aus dem Einband eines Buches herausgeschnitten
ist, es scheint wie für die Collage gedacht zu sein. Als die Künstlerin das
Anagramm in Händen hielt, war sie davon so angetan, dass es ihre Collage bereichern
musste.
Wenn die Buchstaben des Anagramms in
die richtige Reihenfolge gebracht werden, entstehen die lateinischen Sätze
„Adam te adgeram“ und „tangas larga latet amor“, zu deutsch: „Mensch, ich,
Christus, werde dich zu Gott hinführen“ und: „Berühren magst du Vieles,
verborgen bleibt die Liebe Gottes.“ Die verborgene Liebe Gottes, die im Anagramm
verschlüsselt ist, sie befindet sich auf der Collage zwischen zwei Augen. Die
Pupillensterne dieser Augen scheinen das Sternenkreuz des Anagramms
widerzuspiegeln. Sie scheinen das Rätsel zu verstehen. Ob ihnen auch die Liebe
Gottes entborgen ist? Ob sie die Kraft kennen, die sich wirkmächtig erweist,
indem sie zum phantasievollen, künstlerischen Spiel bewegt. Unverfügbar ist diese
Kraft, aber doch eben wirkmächtig, inspirierend und energisch. Sie treibt an
zum phantasievollen Spiel. Und vermittelt über die Werke der Künstlerin können
auch die Betrachtenden zum Spiel begeistert werden. Wirkmächtig, energisch
können die Werke der Künstlerin auf ihre Rezipientinnen und Rezipienten wirken.
Ich lade Sie deshalb nun ein, die
ausgestellten Werke von Herma Walter wirken zu lassen, ihre Energie zu spüren
und mitzuspielen. Am besten wohl verzichten sie zunächst darauf, den Titel der
Werke wissen zu wollen. Frau Walter schlägt vor, dass sie die
Bilder zunächst unabhängig von ihren Titeln betrachten, und am liebsten wäre es
ihr, wenn Sie sich bei der Namensgebung beteiligten. Frau Walter ist gespannt
auf Ihre Titel. Es liegen Bleistifte bereit, mit denen Sie die titellose
Bilderliste beschriften können. Eine Liste mit den Titeln von Herma Walter
liegt ebenfalls aus.
Ihnen, liebe Frau Walter, gratuliere
ich sehr herzlich zu Ihrer Kunst und ihrer Ausstellung, und uns allen wünsche
ich nun eine gute Betrachtung.
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